Kaum jemand kennt die Berliner Bürgersteige, Häuserzeilen, Quartiere und Grünparzellen besser als Annett Gröschner. In ihren Feuilletons hat die Flaneuse über Jahrzehnte die Veränderungen der Stadt erkundet und sich auch immer wieder als sehr originelle DDR-Historiografin betätigt. Einen regelrechten Bestseller landete sie mit dem im Kollektiv mit Peggy Mädler und Wenke Seemann verfassten Leitfaden „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“ (2024). Wieder anders gerät die DDR-Geschichte in ihren Romanen in den Blick. Während in dem hochironischen „Moskauer Eis“ (2000) sich ausgerechnet ein Kälteingenieur Anfang der 1990er Jahre selbst einfriert und es seiner Tochter Annja überlässt, das Rätsel um seinen bizarren Aggregatzustand zu lösen, dreht sich Annett Gröschners jüngster Roman „Schwebende Lasten“ zunächst um das Leben einer Blumenbinderin während des Zweiten Weltkriegs. Zwischen dem Personal gibt es Berührungspunkte, und Schauplatz ist in beiden Fällen Magdeburg, wo Annett Gröschner 1964 geboren wurde. Ihre Heldin, die von den historischen Ereignissen fast zermalmt wird, mausert sich in der industrietrunkenen DDR zur Kranführerin und sorgt in wechselnden politischen Systemen für den Unterhalt ihrer Familie. Mit erzählerischer Verve fächert Annett Gröschner das Schicksal ihrer Heldin Hanna Krause auf und schildert, was es heißt, jeden Tag neu für die grundlegenden Bedürfnisse kämpfen zu müssen. Als sechsfache Mutter steht die unbeirrbare Hanna Revolutionen, Kriege und Diktaturen durch und bleibt immer anständig.
Maike Albath
Auszeichnungen u. a.: Anna-Seghers-Preis (1989), Stadtschreiberin zu Rheinsberg (1999), Erwin-Strittmatter-Preis (2002), Brandenburg-Lotto-Literaturpreis (2012), Kunstpreis Berlin, Sparte Literatur (2017), Verdienstorden des Landes Berlin (2019), Großer Kunstpreis Berlin, Klopstock-Preis des Landes Sachsen-Anhalt (2021), Mainzer Stadtschreiberin (2025).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums. Brecht und Urheberrecht“, Hrsg. zus. mit C. Hippe, Verbrecher Verlag, Berlin 2018
– „Berolinas zornige Töchter. 50 Jahre Berliner Frauenbewegung“, FFBIZ, Berlin 2018
– „Berliner Bürger*Stuben. Palimpseste und Geschichten“, Ed. Nautilus, Hamburg 2020
– „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat“, zus. mit P. Mädler und W. Seemann, Hanser, München 2024
– „Schwebende Lasten“, Roman, C.H. Beck, München 2025