Was macht die Kraft einer Frau aus, wenn nicht ihre Emotionalität? „Die Wut ist ein heller Stern“ lautet der Titel des irisierenden Romans von Anja Kampmann, Jahrgang 1983, Lyrikerin und Prosaautorin. Handlungsort ist Hamburg, wo in den 1930er Jahren selbst auf der Reeperbahn mehr und mehr Uniformen auftauchen. Die Artistin Hedda bemüht sich nach Kräften, sie zu ignorieren und sich ihren Stolz zu bewahren, denn sie hat es aus einer schimmligen Wohnung bis unter die Kuppel des „Alkazar“ geschafft, wo sie am Seil eine rasante Dschungelnummer turnt. Eine Weile lang kann der Impresario Arthur sie schützen. Aber ihr Freund Kuddel ist verschwunden. Die Kolleg*innen und ihre Freundin Leni sind ihre Zuflucht, denn Heddas gewalttätiger Vater hängt an der Flasche und wird schließlich zum Parteigänger der Nazis, die Mutter schuftet bei Reemtsma und beugt sich dem Willen ihres Mannes. Hedda sorgt sich um ihren jüngsten Bruder Pauli, der rachitisch ist und nach den von nun an geltenden menschenverachtenden Regeln längst ins Heim gehört. Und auch der empfindsame Jaan, der ältere Bruder, weiß keinen anderen Ausweg als auf einem Walfänger der neuen Machthaber anzuheuern und als Harpunenschmied ins Eismeer aufzubrechen. Obwohl die Lage immer gefährlicher wird, erhebt Hedda ihre Stimme und erzählt, wie ihr zumute ist. Wie in jedem ihrer Bücher dringt Anja Kampmann mit bewundernswerter Leichtigkeit in die Tiefenschichten der Sprache vor und deckt die Ressourcen weiblicher Weltwahrnehmung auf.
Maike Albath
Auszeichnungen u. a.: MDR Literaturpreis (2013), Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis (2015), Stipendium Literarisches Colloquium Berlin (2016), Heinrich Heine Stipendium der Stadt Lüneburg (2017), Mara-Cassens-Preis, Lessing Förderpreis des Freistaates Sachsen (2018), Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim (2019), Rainer-Malkowski-Preis (2020), Günter-Kunert-Lyrikpreis (2022), Arno-Reinfrank-Literaturpreis, Marie Luise Kaschnitz-Preis (2024).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „Proben von Stein und Licht“, Gedichte, Lyrik Kabinett, München 2016
– „Wie hoch die Wasser steigen“, Roman, Hanser, München 2018
– „Der Hund ist immer hungrig“, Roman, Hanser, München 2021
– „Die schmutzige Wäsche des schmelzenden Schnees. Adam Zagajewski – Poet der Zärtlichkeit und des Staunens“, Wunderhorn, Heidelberg 2024
– „Die Wut ist ein heller Stern“, Roman, Hanser, München, August 2025