In ihrem Debütroman „ë“ erschafft Jehona Kicaj eine ganz eigene literarische Welt, die dem Mund eingeschrieben ist: Die junge Erzählerin flieht mit ihren Eltern in den 1990er Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland. Sie sprechen nur Albanisch, die Sprache mit dem kaum hörbaren „ë“ – ein identitätsstiftender Buchstabe, ohne Äquivalent im Deutschen. Die neue Sprache schmerzt im Kiefer. Es sind auch die Gebisse, anhand derer die Leichen ihrer im Krieg ermordeten Mitmenschen im Kosovo identifiziert werden. In Deutschland spielt das kaum eine Rolle: Hier schlägt ihr vor allem Ignoranz entgegen. Die Unwissenheit ihrer deutschen Mitbürger*innen um politische historische Gegebenheiten ist ein Spiegel, den die Autorin uns Leser*innen entgegenhält sowie Zeugnis eines brutalen Krieges, der bis heute die kosovarische Gesellschaft tief prägt. Ein hochpoetischer Text, der die Traumata wie (die jüngere) Geschichte des Kosovos und die deutschen Verhältnisse in Literatur übersetzt. Die 1991 im Kosovo geborene Jehona Kicaj, wuchs in Göttingen auf und studierte Philosophie, Germanistik und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Sie veröffentlichte zunächst wissenschaftliche Publikationen, seit 2020 erscheinen von ihr auch literarische Texte.
Lara Sielmann
Auszeichnungen u. a.: SchreibZeit-Stipendium der Stiftung Niedersachsen (2022), Niedersächsisches Literaturstipendium (2023), Spaltmaße-Stipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung zur Förderung junger Künstler (2023), HANNA-Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover (2025).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „E.T.A. Hoffmann und das Glasmotiv“, Wehrhahn, Hannover 2020
– „Und so blieb man eben für immer. Gastarbeiter:innen und ihre Kinder“, Hrsg. zus. mit C. P. Roth, re:sonar, Hannover 2023
– „ë“, Roman, Wallstein, Göttingen 2025